Interfakultäre Koordinationsstelle für Allgemeine Ökologie (IKAÖ) |
Corinne Ruesch Schweizer, Anna Schmuki, Marco Rieckmann
Am 8. und 9. November fand die Nachwuchstagung „Bildung für nachhaltige Entwicklung – theoretische, konzeptuelle und empirische Perspektiven“ an der Universität Bern statt. Eingeladen haben Nachwuchsforschende der Interfakultären Koordinationsstelle für Allgemeine Ökologie (IKAÖ) der Universität Bern (Schweiz) gemeinsam mit der Kommission Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaften (DGfE). Dies war die zweite Tagung dieser Art nach der BNE-Nachwuchstagung im Dezember 2012 in Osnabrück.
26 Nachwuchswissenschaftler/innen aus der Schweiz und Deutschland reichten Abstracts ein. Die Themenpalette dieser Beiträge war vielfältig. Sie reichte von der Konzeption bis zur praktischen Umsetzung von BNE und nahm unterschiedliche Bildungsstufen wie auch Kommunen und Netzwerke in den Blick. Dabei wurden Kompetenzen, subjektive Theorien, Transfer- und Diffusionsprozesse als auch methodisch-didaktische Gestaltung von BNE thematisiert. Insgesamt wurden den 32 Teilnehmenden 12 Vorträge und 10 Poster präsentiert.
Zwei Inputreferate forderten heraus, den BNE-Diskurs aus der Vogelperspektive resp. aus der Sicht der anthropologischen Voraussetzung zu betrachten. Antonietta Di Giulio (Universität Bern) warf in ihrem Referat unter anderem die Frage auf, was die Aufgabe von Wissenschaft und Forschung in der Debatte zur Umsetzung von BNE ist. Christine Schmidts Referat regte an, über das Menschenbild nachzudenken, das sich hinter BNE verbirgt, und forderte auf, nicht nur darüber nachzudenken, was durch BNE gelernt werden soll, sondern auch, was aus evolutionstheoretischer Sicht gelernt werden kann.
Neben den Beiträgen war viel Raum für Vernetzung und Diskussionen vorgesehen. So wurden Fragen, die über die Diskussionszeiten nach den Beiträgen hinausgingen, in einer Plenumsdiskussion und einem World Café aufgegriffen. Bei diesen Gelegenheiten wurde intensiv diskutiert, was BNE ist und ob BNE eine Fachwissenschaft im Sinne von "BNE-Wissenschaft(en)" oder eine „interdisziplinäre Community ohne Disziplin“ sei resp. sein soll. Der Wunsch nach disziplinübergreifender, gegenseitiger Anregung wurde deutlich. In verschiedenen Beiträgen zeigte sich, dass BNE insbesondere auch für die Praxis schwer zu fassen ist. In diesem Zusammenhang wurde über das Verhältnis von BNE-Forschung und -Praxis diskutiert und gefragt, was der Beitrag der BNE-Forschung für die BNE-Praxis sein soll und kann und inwiefern transdisziplinäre BNE-Forschung Sinn hat. Immer wieder wurde die Relevanz von Werten in der BNE in den Diskussionen aufgegriffen. Einig war man sich über den Werterahmen, strittig wurde hingegen diskutiert, ob BNE vor allem eine Auseinandersetzung mit diesen Werten und deren Reflexion ermöglichen (Wertediskurs) – womit dann auch eine individuelle Positionierung der Lernenden einhergehen kann bzw. sollte – oder auch (direkt) eine gesellschaftliche Verbreitung dieser Werte bewirken soll (Wertevermittlung).
Wir blicken zurück auf spannende Diskussionen und eine angenehme Atmosphäre für den Austausch und kehren mit wertvollen Inputs und neuen Kontakten zurück an den eigenen Schreibtisch. Mit vielen anderen Teilnehmenden hoffen wir, dass es gelingt, die BNE-Nachwuchstagung zu institutionalisieren, und sind gespannt, ob die Ideen für eine Online-Plattform oder ein deutschsprachiges BNE-Journal für einen vertieften inhaltlichen Austausch in den nächsten Jahren umgesetzt werden.
World Café
Diskussionsnotizen
Ist BNE eine Disziplin? Soll BNE das werden?
Diskutiert wurde zunächst, was Vor-/Nachteile einer "Disziplin BNE" wären. Dabei stellte sich schnell die Frage: was ist eine Disziplin? Im Zuge der Klärung wurde überlegt, ob BNE eine Fachwissenschaft im Sinne von "BNE-Wissenschaft(en)" sei. (Parallelen zu den "Umweltwissenschaften", die sich mittlerweile homogenisiert und seit kurzen als "Umweltwissenschaft" den Plural abgeworfen haben, wurden diskutiert.) Oder eine "(interdisziplinäre?) Community ohne Disziplin". Klar war in dem Zuge, dass beide Varianten eine Form der Institutionalisierung von BNE-Diskursen in Form von personalen Zusammenschlüssen und Konstituierungen bedeuten. Vor- und Nachteile beider Konstellationen wurden abgewogen (keine abgeschlossene Liste).
BNE-Wissenschaft(en)
pro: Sichtbarkeit, Qualitätsdiskurs/-sicherung durch Setzungen/Abgrenzungen nach innen und außen (Dogma?), bessere Forschungsförderung möglich,...
contra: verliert Bereicherung durch andere Disziplinen, Qualität bewährt sich durch Herkunftsdisziplin --> darum eigene BNE-Disziplin für Qualitätsdiskurs nicht notwendig, "Separation" (Dogma?), "langweilig", Verschiebung/Delegierung des Themenfeldes BNE aus den Herkunftsdisziplinen,...
"Community ohne Disziplin"
pro: Bereicherung durch disziplinäre Vielfalt, Grenzgänge als Standard, BNE als Forschungsparadigma erfordert Interdisziplinarität,...
contra: Forschungsförderung schwer, Positionierung schwer, loser Diskurs?,...
Die Arbeitsgruppe ist zu keiner abschließenden Empfehlung gekommen. Fest steht, dass BNE derzeit eine Community hat, die in verschiedenen Disziplinen eine institutionalisierte Anbindung hat, in anderen aus Einzelpersonen/-initiativen besteht. Der Wunsch nach disziplinübergreifender gegenseitiger Anregung besteht. Hilfreich könnte es sein, andere neue Disziplinen und deren Entwicklungs-/Institutionalisierungsprozesse zu beobachten (z.B. Umweltwissenschaft, Dt. Gesellschaft f. Empir. Unterrichtsforschung,...), um daraus zu lernen und ggf. Anregungen für die weitere Entwicklung von BNE als Community/Disziplin zu ziehen.
Inwiefern kann und soll die Forschung die
Praxis befruchten und umgekehrt?
Dieser Tisch hat sich damit befasst, was der Beitrag der Forschung für die Praxis sein soll und kann und inwiefern transdisziplinäre Forschung Sinn macht. Es fragt sich dann aber auch, ob die Interessen in der Forschungscommunity zwischen denen, die eine enge Zusammenarbeit mit der Praxis wünschen, und solchen, welche sich nicht primär um den Output in die Praxis kümmern wollen, auseinanderklaffen. Es wird auch diskutiert, was die Konsequenzen für die Forschungspraxis sind.
Output in die Praxis im Feld der BNE wird als wichtig erachtet. So sollen auch Forschungsverbünde sich schon in der konzeptionellen Phase um eine Anbindung an die Praxis bemühen und eine Einbindung des Outputs in die Praxis mitplanen. Die Umsetzung wird verstanden als Aushandlungsprozess und ist nicht ein “Naturgesetz”. Dies ist allerdings schwierig umzusetzen in kleineren Forschungsprojekten, oder in Dissertationen.
BNE-Forschung soll aber immer gesellschaftliche Relevanz haben. Ein double-loop- Modell für die Interaktion Praxis und Forschung wird vorgestellt und diskutiert.
Die Reflexion der Forschungspraxis ist nötig, und der Erkenntnisweg soll reflektiert werden. So ist die Praxis nicht nur notwendig für die Überprüfung der Theorie, sondern kann ein integrierter Bestandteil der Forschung sein. Ein interdisziplinärer Ansatz ermöglicht einen vereinfachten Einbezug der Praxis. Dafür ist eine gemeinsame Sprache und eine gemeinsame Verständigung über die Vorstellung zum BNE Begriff notwendig. Bindeglieder zwischen Forschung und Praxis sind hilfreich.
Neben unterschiedlichem Sprachgebrauch ist z.B. auch der Umgang mit Intuition verschieden. In der Praxis oft als wichtiger Bestandteil der Arbeit gesehen, ist die Intuition in der Forschung nicht gleich legitimiert. Ev. wäre dies ein Lernfeld für die Forschung?
Forschung und Praxis sind wie an einer Perlenkette miteinander verbunden. Jede Perle stellt ein Wirkungsfeld dar. In einem Wirkungsfeld wird Forschung praktiziert, ohne direkt sichtbaren Nutzen für die Praxis zu generieren, andere Felder arbeiten mit ganz konkreten Fragen aus der Praxis der BNE-Umsetzung. Zwar ist jedes Feld für sich allein ein Element der Kette, das heisst jede Perle funktioniert nach eigenen Regeln, trotzdem besteht Offenheit für die miteinander verbundenen Wirkungsfelder.
Sind Werte relevant für BNE?
Bildung für eine nachhaltige Entwicklung nimmt Bezug auf die in Nachhaltigkeitstheorien oder in politischen Dokumenten (z.B. der UNESCO) formulierten Werte (v.a. Menschenwürde, Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit). Damit ist ein Werterahmen gegeben, an dem sich BNE orientiert. Strittig wurde allerdings diskutiert, ob BNE vor allem eine Auseinandersetzung mit diesen Werten und deren Reflexion ermöglichen (Wertediskurs) – womit dann auch eine individuelle Positionierung der Lernenden einhergehen kann bzw. sollte – oder auch (direkt) eine gesellschaftliche Verbreitung dieser Werte bewirken soll (Wertevermittlung).
Welche Wünsche der Teilnehmenden gibt es für die Vernetzung nach dem BNE-Nachwuchstreffen?
Kurzfristig
_ Regelmäßige Treffen des BNE-Nachwuchses (1x pro Jahr) organisieren
_ Regionale BNE –Treffen
_ Vernetzung mit anderen Netzwerken, wie zum Beispiel dem ESD Netzwerk der EERA oder der AG Hochschule in Deutschland
Mittelfristig
_ Online-Plattform für den Austausch von Informationen und um sich einen Überblick über die Akteure im Netzwerk zu verschaffen
Langfristig
_ Deutschsprachiges BNE-Journal herausgeben
Wer kann das Netzwerk in Zukunft pflegen?
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