Schweizerischer Nationalfonds - Schwerpunktprogramm Umwelt (SPPU)
Diskussionsforum Nord-Süd
Workshop Solothurn (29.11. - 3.12.99)

 

Lokale Umweltpolitik

 

Zusammenfassung


Transferveranstaltung 3. Dezember 1999

Michael Stettler, Ruth Kaufmann-Hayoz, Nicole North, Silvia Ulli-Beer (Februar 2000)

 

 

1.     Einführung

Zu Beginn der Veranstaltung stellt Ruth Kaufmann-Hayoz einige wichtige Resultate der vorangegangenen Arbeiten der Forscherinnen und Forscher vor (Tabellen 1.1 und 1.2).


Tabelle 1.1: „Lokale Umweltpolitik – Partizipation“

Übergeordnetes Ziel

„The participatory approach is an indispensable, dynamic tool which in the context of development ensures the achievement of sustainable livelihoods, efficient mobilisation and use of resources and guarantees a balanced system (encompassing social peace and stability)“

Arbeitsziel

„Ressourcen mobilisieren für ein gemeinsames Ziel“

  • effizientes Management
  • Empowermen

Partizipierende

Akteure (Handelnde), unterschiedliche Kategorien:

  1. Betroffene/Beteiligte
  2. Informelle/formelle
  3. Sichtbare/unsichtbare
  4. (etc.)
Arena Ein Handlungsraum
Kriterium Kontrolle über Ressourcen und Entscheidungen (die verschiedenen Akteurkategorien verfügen über unterschiedliche Kontrolle über Ressourcen und Entscheiungen)
Innovationen
  • Partizipation kann die „lokale Sicht“ der Behörden stärken
  • Beharrliches Vorgehen kann auch gewisse Veränderungen auf politischer Ebene auslösen.
  • Zunehmende  Partizipation stärkt ihre Legitimation.
  • Die Formalisierung von Verfahren -  die Formulierung von Regeln für Partizipation - ist für dauerhafte Lösungen unabdingbar.
  • Partizipation eröffnet neue Handlungsmöglichkeiten, Raum für Experimente kann geschaffen und neue  institutionelle Beziehungen können aufgebaut werden.

Sorgen

  •  „Empowerment“ ist mit „disempowerment“ eng verbunden, es geht um  die Umverteilung von Macht und Einfluss.
  • Partizipation bedeutet keineswegs, dass die Kontrolle über Finanzen und andere Mittel nicht auch weiterhin bei den herkömmlichen Behörden bleibt.
  • Sowohl der zu informelle Charakter wie auch die Bürokratisierung partizipativer Arrangements können problematisch sein.
  • Partizipation benötigt Zeit und Mittel. Keine Anspruchsgruppe sollte ausgeschlossen bleiben

 

Tabelle 1.2: Erfolgsbedingungen

Zu Beginn des Prozesses  

... unterwegs

  • Schlüsselakteure, inkl. Pioniere, Betroffene, Opfer etc. und Katalysator/innen sind einzubeziehen
  • Der Moderation ist glaubwürdig und von allen akzeptiert
  • Visionen und Ziele werden entwickelt, die spezifischen Ergebnisse bleiben jedoch offen: Offenheit des Prozesses
  • Benötigt werden Management-fähigkeiten, Organisationswissen und -ressourcen
  • Minimale Betriebsmittel sind unabdingbar
  • Raum für Experimente muss vorhanden sein

 

 

 

 

 

 

 

->->

  • Keine Akteure dürfen ausgeschlossen werden
  • Neue Zusammenarbeit („networking“) ist von strategischer Bedeutung für die Konsolidierung des Initiierten
  • Das Ziel ist ein gemeinsames, akzeptiertes
  • Raum fürs konkrete Handeln ist weiterhin vorhanden
  • Es braucht ein Wille zur Zusammenarbeit
  • Fortgeführte Bereitschaft zu Veränderungen, zu Reformen ist nötig: Prozess bzw. Experimente entwickeln sich zu Institutionen
  • Die Moderator/innen sind ausgebildet und fähig
  • Die beteiligten Akteure bilden sich „on the job“ weiter (Sozialkompetenz, Managementfähigkeiten, etc.)
  • Investitionen in die Umwelt und „grüne“ Dienstleistungen verlangen nach Kompensationsleistungen (Ausgleichszahlungen)

 

 

2.     Diskussionsmarkt

2.1       „Braucht die Schweiz mehr Bürgerbeteiligung? – Nein, andere (oder zusätzliche) Instrumente“

Ein Plakat (Tabelle 3) diente als Diskussionsgrundlage. Wichtige Elemtente der Diskussionen:

  • Der Titel ist zu plakativ („Braucht die Schweiz mehr Bürgerbeteiligung? Nein, eine andere“). Die Mobilisierung (Interesse und Mitwirken) der Bevölkerung oder von Teilen der Bevölkerung muss nicht zwingend über neue partizipative Ansätze erfolgen. Sie kann auch über demokratische, politische Wege erreicht werden. Aber: Die Lösung gewisser Probleme erfordert neue partizipative Ansätze. Herkömmliche politische Verfahren und neue partizipative Ansätze schliessen sich weder  gegenseitig aus noch behindern sie sich gegenseitig. Vielmehr ergänzen und befruchten sie einander. Vermischung und Verzahnung sind möglich und teilweise notwendig (siehe Erfolgsfaktoren).

  • Die herkömmlichen Polit-Verfahren schliessen Nicht-Bürgerinnen aus. Die Schweiz braucht vor allem mehr Einwohnerbeteiligung, und nicht nur mehr  Bürgerbeteiligung. Eine Revitalisierung der Einwohnerbeteiligung ist nötig. Partizipative Verfahren können NichtbürgerInnen (wie Ausländer und Jugendliche) einbinden.

  • Die heutige Parteienlandschaft, die bestehenden Institutionen sprechen viele, insbesondere junge Leute, nicht mehr an. Die Ja-Nein-Entscheide bei Abstimmungen sind unbefriedigend. Sie suchen Möglichkeiten sich zu beteiligen, ohne sich institutionalisieren lassen zu müssen. Die Interessen der Jugend sind typischerweise nicht organisierte Interessen. Partizipative Ansätze könnten hier weiterhelfen. Sie erlauben Diskussion und Meinungsbildung. Projekte, Massnahmen, Ideen können früh mitgestaltet werden. Dies wirkt gegen die Politikverdrossenheit. Partizipative Prozesse könnten in den Schulunterricht eingebracht werden. Schüler sollen ihre Anliegen einbringen können. Die Anliegen sollen wahrgenommen und berücksichtigt werden. Die Einbindung Jugendlicher in bestehende Strukturen ist wichtig. Jugend-Parlament oder  Jugend-Zukunftsrat sind Ansätze in dieser Richtung.

  • Für den partizipativen Ansatz ist wichtig: Die „sorgfältige Auswahl von Beteiligten“ soll sicherstellen, dass keine Interessierten ausgegrenzt oder vergessen werden. In gewissen Momenten/Situationen kann ein ausgrenzen aber auch sinnvoll sein. Die Auswahl der Beteiligten ist abhängig von den gewählten Verfahren/Vorgehen und Zielen.

  • Der partizipative Ansatz kann durchaus kurzfristig anwendbar sein. Sogenannte „Meilensteine“ können kurzfristige Ziele markieren und vermeiden Frustration bzw. motivieren für die weitere Arbeit. Meistens werden während dem Planungsprozess aber auch langfristige Ziele gesetzt.

  • Die Kosten für partizipative Prozesse an sich können gering sein.


Tabelle 3: „Braucht die Schweiz mehr Bürgerbeteiligung? – Nein, andere“

Herkömmliche direkt-demokratische Verfahren Neue partizipative Ansätze

Beispiele

5.     Initiativen
6.     Mitwirkungsverfahren
7.     Referenden
8.     Einspracheverfahren
9.     Vernehmlassungsverfahren
10.  Petition

11.  Mediationsprozesse
12.  EASW
13.  Runde Tische
14.  Plattformen
15.  Zukunftswerkstätten
16.  LA-21-Prozesse (i.w.S.)

Merkmale

Mehrheitsprinzip (Meinungsäusserung) Diskursives Prinzip (Meinungsbildung)
Möglichkeit zur Mitwirkung Mobilisierung zur Mitwirkung

Passiver Miteinbezug aller, aber ... -> schweigende Mehrheiten

Verwaltungshandeln

Sorgfältige Auswahl der Beteiligten

Trägerschaft & Moderation ist zentral

Konkrete Geschäfte/ Vorlagen „erledigen“ Noch offene Problemlagen „vorspuren“

Zeitlich definierte Prozessverfahren

Kosten: Integriert in Verwaltungsbudget

Längerer Zeithorizont der Prozesse

Kosten: Muss speziell beantragt werden


Anregung eines Teilnehmers:

Neben den neuen partizipativen Ansätzen und den herkömmlichen Polit-Verfahren gibt es eine dritte Möglichkeit, die Bevölkerung für mehr Beteiligung und Mitwirkung zu interessieren: Tauschkreise. Dies sind Tauschnetze zwischen Haushalten, Einzelpersonen auf lokaler Ebene (ca. 50km). Beispielsweise wird Arbeit für Äpfel, oder wird Pulloverflicken für Veloflicken angeboten. Die Tauschwährung heisst „Talent“. In einer Marktzeitung werden Angebote und Wünsche veröffentlicht. Eine Stelle in Aarau (INWO Schweiz) erledigt die Abrechnungen. Die Geschäfte werden hier gemeldet. Weil die Talente negativ besteuert werden, werden sie kaum gehortet. Der Hauptzweck der Tauschkreise ist der soziale Kontakt. Dennoch passt das Thema Tauschkreise in die Nachhaltigkeitsdebatte: Talente können nicht gehortet werden, die Tauschkreise organisieren sich lokal, die Güter bleiben länger in Gebrauch, anstelle von Entsorgung tritt Recycling, neue Dienstleistungsangebote entstehen.


2.2       „Chancen und Risiken der Partizipation“

Tabelle 4: „Chancen und Risiken der Partizipation“

Chancen/ Mehrwert

Be-wertung

Risiken/ Gefahren

Be-wertung

„Empowerment“ der Verwaltung und/oder der BürgerInnen

0

„Disempowerment“ des Parlamentes

1
Stärkung politischer Interessen der Bevölkerung und der Demokratie 11

Zusätzliche Stärkung bereits organisierter Interessen

5

Potential für innovative Lösungsansätze

9 Partizipation ist zeit – und ressourcenintensiv 8

Gefühl für „ownership“ wird gestärkt

 

13

Frustration der Beteiligten wegen fehlender Umsetzung

 

14

Frühzeitiges Erkennen von Interessenskonflikten

7

Nur für langfristig realisierbare Lösungen anwendbar

0

Politische Wirksamkeit wird „erfahren“

8

„Informalität“ partizipativer Ansätze

8

Sachkompetenzen der Beteiligten werden erhöht

2

„Dilettantismus“, unrealisierbare Lösungsvorschläge

8

Vereinfachter Vollzug

0    
Behörden können profitieren 2    

Neuverteilung von Macht

Neuverteilung von Macht


Während den Diskussionen in Gruppen wurde das Plakat (Tabelle 4) um einige Punkte (kursiver Text)  ergänzt. Der Punkt „Neuverteilung von Macht“ war vorgängig nicht den Chancen oder den Risiken zugeordnet. Auch nach der Diskussion blieb die Frage offen: Findet überhaupt eine Umverteilung von Macht statt, wenn neue partizipative Ansätze verfolgt werden? Denkbar wäre allenfalls eine Machtneuverteilung innerhalb von Verwaltungsstrukturen. Die TeilnehmerInnen gewichteten die Argumente mit Punkten. Als wichtigste Gefahr empfanden die TeilnehmerInnen die Frustration der Beteiligten. Als wichtigste Chance erachteten die TeilnehmerInnen die Stärkung des Gefühls für „ownership“. Eine weitere wichtige Chance ist, dass das Interesse der Bevölkerung an der Politik gefördert wird.


2.3       „Erfolgsfaktoren für partitipative Ansätze“

Zu Beginn der Diskussion in Gruppen, waren die Argumente in grau gegeben (Abbildung 1). Während der Diskussion wurden die Argumente in weiss hinzugefügt. Die TeilnehmerInnen konnten mit je zwei Punkten die Argumente gewichten. Die Anzahl Punkte wird durch die Zahlen wiedergegeben.

Akteure: Für den Erfolg partizipativer Ansätze besonders wichtig erschien den TeilnehmerInnen eine Trägerschaft, welche von allen Beteiligten akzeptiert und glaubwürdig ist. Gemeinsame Interessen der Akteure wurden auch als wichtig erachtet. Gemeinsame Interessen zu definieren, einen „gemeinsamen Nenner“ zu finden, ist konfliktträchtig. Im Projekt „Lokale Agenda 21“ zeigte sich, dass klare Ziele zu definieren sind, bevor überhaupt partizipative Ansätze verfolgt werden können. Vor der eigentlichen Partizipation war also ein Vorlaufprozess nötig.

Ressourcen: Die wichtigen Ressourcen Zeit, Geld, Wissen und Beziehungsnetze wurden um eine Ressource psychologischer Art ergänzt:  Motivation/Identifikation/Lust sind wichtig für den Erfolg partizipativer Ansätze.

Prozess/Vorgehen: Die Rolle des Moderators blieb diffus. Braucht es überhaupt einen? Wann? Welche Rollen übernimmt der Moderator sonst noch? Die Anwesenden sind sich zwar darin einig, dass eine Moderation nötig ist, hingegen muss diese nicht durch einen einzelnen Moderator erfolgen.

Institutionelle Ebene: Die Bereitschaft politischer Akteure und der Verwaltung, mit den am partizipativen Prozess beteiligten Leuten zusammenzuarbeiten, ist wichtig.

Elemente der Diskussionen:

  • In der Realität können kaum sämtliche Erfolgsfaktoren erfüllt werden. Trotzdem ist ein Erfolg partizipativer Ansätze nicht ausgeschlossen. Nicht alle Bedingungen müssen nämlich erfüllt sein, damit der partizipative Ansatz Erfolg haben kann. Welches aber sind die Killerbedingungen, welche für den Erfolg zwingend erfüllt sein müssen? Die partizipative Aktion hängt klar von den beteiligten Leuten und der Trägerschaft ab. Schliesslich sind sie Quelle und Hauptmotor der partizipativen Aktion. Erstaunlicherweise wurden die Schlüsselakteure von den Anwesenden aber nicht als besonders wichtig bezeichnet, obschon sie Initiatoren, gleichzeitig aber auch Aktive und Vermittler sind. Die Bereitschaft der Behörden zur Zusammenarbeit ist dringend nötig. Weitere Killerbedingungen könnten die mit zwei oder mehr Punkten gewichteten Faktoren sein.

  • Für den Erfolg partizipativer Ansätze ist ein Akteurmanagement, eine Moderation nötig. Moderation darf sich aber nicht bloss auf Diskussionsleitung beschränken. Moderation heisst auch Konzepte, Verfahren und Prozesse ausarbeiten, Motivation und Offenheit der Beteiligten fördern. Der „Moderator im weiteren Sinn“ kann auch als „facilitator“ oder „coach“ bezeichnet werden. Das nötige Know-how (Erfahrung, Kenntnisse) und die nötige Zeit stellt für viele Personen ein Hindernis dar, diese grosseAufgabe erfüllen zu können.



Abbildung 1: Erfolgsfaktoren

 




 

  • Wie können die gewünschten Personenkreise erreicht und für ein Mitmachen motiviert werden? Die facilitators müssen wissen, wie sie die gewünschten Personen erreichen können. Mit ausländischen Frauen beispielsweise müssen die Kontakte möglicherweise in Deutschkursen oder auf Kinderspielplätzen geknüpft werden. Anderes Beispiel: Zur Bildung von Quartiervereinigungen in Bieler Wohngebieten wurde mit Kinderwettbewerben und Kinderbefragungen im Hof begonnen und damit die Erwachsenen interessiert, welche später adressiert wurden. Sind die Personen erreichbar, müssen sie erst noch zum Mitmachen motiviert werden. Die facilitators müssen wissen, welches die Hemmschwellen sind und wie sie diese abbauen können. Manchen Leuten fehlt beispielsweise der nötige Mut zum Mitmachen, weil sie sich aufgrund ihrer schlechten Deutschkenntnisse oder ihres Berufstandes genieren. Wichtig ist dann, den Personen klar zu machen, welche Voraussetzungen sie zu erfüllen haben, bzw. eben nicht zu erfüllen haben. Die facilitators sind also in jedem Fall gefordert. Nicht immer können sie die gewünschten Personenkreise erreichen und motivieren.

  • Für die längerfristige Motivation der Beteiligten ist Erfolg sehr wichtig. Damit die Beteiligten nicht enttäuscht werden, sollen keine falschen Hoffnungen geweckt werden. Die Erfolgsaussichten sind klar darzulegen. Sicht- und erreichbare Zwischenziele (Milestones) zu setzen, ist sinnvoll.


2.4       „Akteure“

Die TeilnehmerInnen stellten an diesem Stand ihre Projekte vor. Dabei wurden jeweils die Zuständigkeiten der beteiligten Akteure auf dem Plakat (Tabelle 5) festgehalten. Das Plakat  gab lediglich die Kategorien in den beiden linken Spalten vor.

Dem Plenum wurden einige Beispiele vorgestellt:

  • Kanton Graubünden: Die „Amalgan-Aktion mit Zahnärzten“ im Vergleich mit der „VOC-Aktion mit Malern“:
    Beiden Aktionen liegt eine gesetzliche Regelung zugrunde. Den Behörden wurde die Vollzugsaufgabe übertragen. Die Behörden bezogen die Zahnärzte als Betroffene und als Experten in den Vollzugsprozess mit ein. indem sie diese konsultierten und mit ihnen diskutierten. Der partizipative Ansatz hat sich hier bewährt. Derselbe Ansatz hat aber bei den Malern fehlgeschlagen. Sie waren als Zielgruppe viel schwieriger zu erreichen. Sie waren an einer Zusammenarbeit nicht interessiert. Möglicherweise wäre der Einbezug zusätzlicher Akteure, etwa Kunden, Entsorgungsbetriebe, Farblieferanten sinnvoll gewesen. Der partizipative Ansatz kann je nach Situation den Einbezug weiterer Akteure erfordern.

  • Lokale Agenda 21, Spiez:
    Aus diffusem Unbehagen gegenüber verschiedenen Problemen (in den Bereichen Verkehr, Landwirtschaft, Tourismus) initiierten Einzelpersonen eine partizipative Aktion. Ihre Anliegen: Aufbau einer Zukunftswerkstatt, Interessenverbände ansprechen, externe Moderation, politische Behörden für die Anliegen gewinnen (insbesondere wird die Unterstützung der Gemeinde gesucht).


Tabelle 5: Plakat „Akteure“

 

    LA Werkstadt Basel Amalgan
(Hg-Umweltver-schmutzung)
Maler
(Abwasser, VOC, Abfallentsorgung)
Hinterhöfe Biel LA 21 Stadt St. Gallen LA 21 Spiez
ORGANISATION Initiatoren FAU Ökomedia Kant. Verwaltung (Vollzugsaufgabe) Kant. Verwaltung Politischer Vorstoss Verein Verwaltung Einzelpersonen
  Trägerschaft Gemeinde-behörden Regierung     Stadtregierung Verwaltung Gemeindebehörden Ziel: Verein
  Moderation   Externe          
  Experten   Verwaltung          
  Kontrolle/ Evaluation   Verwaltung und Externe          
  Bemerkungen Trägerschaft: In kleinen Gemeinden: Exekutive wichtig In grossen Gemeinden: Verwaltung wichtig            
BETEILIGTE Organisierte Interessen   Quartierverbände Meinungsmacher Interessen-verbände   Konsens-konferenzen zu 25 Themenbereichen Zahnärzte (Verband) Maler (Verband) Möglicherweise noch anzugehen: Entsorgungsbetriebe Kunden Farblieferanten ... IG Hof (MieterInnen, Hausbesitz-erInnen)   Gewerbeverband u.a. ähnliche
  Nicht organisierte Interessen Bevölkerung Zukunfts-werkstadt       Mieter/ Bewohner/ Hausbesitzer   Zukunfts-werkstat   Bevölkerung Zukunfts-
werkstatt
  Bemerkungen         Viele Gruppen erreicht , aber  nicht bei der Stange gehalten    

 

  • Werkstatt Basel:

    Initiator ist die private Institution Ökomedia. Das Projekt fand schnell Unterstützung in der Politik. Die Stadtregierung ist (z.B. aus Steuergründen) daran interessiert, eine lebenswerte und attraktive Stadt zu erhalten oder gestalten. Am partizipativen Prozess beteiligten sich Quartierverbände, Meinungsmacher und Interessenverbände. Diese arbeiteten Projektvorschläge aus. Die Moderation wurde von Externen übernommen. Die Regierung delegierte Experten. Die Projektvorschläge fliessen in die Politik und damit in wichtige Entscheidungen und Massnahmen mit ein.


3. Erste Synthesen und weitere Diskussion

Die Grafik (Abbildung 2) illustriert das Verhältnis partizipativer Ansätze zu den herkömmlichen politischen Verfahren.

Das Tunnel symbolisiert das in der Schweiz institutionalisierte direkt-demokratische Entscheidfindungsverfahren. Sind „Probleme“ einmal auf der politischen Agenda, werden Massnahmen zu deren Lösungen gesucht. Diese Lösungsvorschläge durchlaufen einen elaborierten Entscheidfindungsprozess nach einem klar vorgeschriebenen Verfahren, an welchem sich vor allem angesprochene und organisierte Interessen (Parteien, Verbände usw.) z.B. in einem Abstimmungskampf beteiligen und versuchen , ihn zu ihren Gunsten zu beeinflussen suchen. Alle BürgerInnen haben die Möglichkeit zur Mitwirkung, dennoch macht die Mehrheit von ihnen häufig nicht gebrauch (schweigende Mehrheiten).

Die Grafik (Abbildung 2) illustriert in diesem Entscheidfindungsverfahren zwei neuralgische Punkte, welche durch ein partizipatives Vorgehen entschärft werden können.

  1. Latente Probleme und diffuses Unbehagen innerhalb unorganisierter Interessen gelangen selten auf die politische Agenda. In einem solchen Fall kann ein partizipativer Ansatz nach dem diskursiven Prinzip zur Offenlegung der latenten Problemlagen führen. Persönliche Probleme oder Anliegen können als öffentliche und politische Probleme oderAnliegen identifiziert werden. Als konkretes Produkt (Frucht) partizipativer Verfahren können Lösungsvorschläge resultieren, die mindestens unter den Beteiligten des partizipativen Verfahrens eine gute Akzeptanz finden.

  2. Die Umsetzung rechtlicher Vorlagen kann sich als sehr schwierig erweisen, wenn die Adressaten unorganisiert sind (siehe Beispiel der „Maler“). In einem partizipativen Prozess zwischen den Vollzugsbeautragten, den Adressaten und den Betroffenen können anwenderfreundliche Umsetzungslösungen herausgearbeitet werden, welche eher eine Mehrheit finden und auch deren Einhaltung in der Praxis eher garantieren (effektivere Umsetzung).

In der Grafik wird der Partizipative Ansatz mit einem Baum symbolisiert. Zum einen bezieht sich diese Metapher auf die Dynamik eines solchen Verfahrens. Sobald die auslösenden Probleme wieder über das herkömmliche Verfahren gelöst werden können, wird das diskursive Prinzip wieder durch das Mehrheitsprinzip der herkömmlichen Verfahren abgelöst und die aufgebauten Strukturen können sich wieder auflösen. Zum anderen bezieht sich die Methapher auf wichtige benötigte Wachstumsfaktoren, die einen solchen Prozess beeinflussen und für deren Erfolg entscheidend sind. Folgend werden die  wesentlichen Erfolgsfaktoren genannt:

  1. Die Offenlegung gemeinsamer Interessen und die Identifikation mit gemeinsamen Zielsetzungen

  2. Die Mobilisierung der psychologischen Resourcen

  3. Die Professionalität der Moderation und des Aufbaus

  4. Aufbau einer effektiven Trägerschaft

  5. Miteinbezug der Behörden


Abbildung 2: Die Intergration partizipativer Ansätze in das herkömmliche politische Verfahren


Vor allem die zwei letztgenannten Faktoren sind für eine reibungslosen Übernahme  der Lösungsvorschläge von den etablierten Institutionen und deren Identifikation entscheidend.

Die Chancen einer problembezogenen Ergänzung der herkömmlichen Verfahren durch Partizipative Ansätze werden vor allem in der Bewusstseinsbildung einer „ownership“ von öffentlichen Gütern und der damit einhergehenden Sensibilisierung für politische Anliegen einer breiteren Bevölkerungschicht gesehen. Die Gefahr, dass durch solche Prozesse falsche Erwartungen geweckt werden, besteht darin, dass die Lösungsvorschläge und die Ideen beim Übergang in die herkömmlichen demokratischen Verfahren am Mehrheitsprinzip  scheitern können. Die Frustration ist in einem solchen Fall umso höher, je mehr die Beteiligten in einem solchen Prozess persönlich involviert waren und je mehr sie sich mit den Früchten identifiziert haben.


Elemente der anschliessenden Diskussion im Plenum:

  • Partizipation und Mobilisierung der Bevölkerung sind nötig. Sie können aber möglicherweise durch die Renovation des politischen Lebens erreicht werden. Entsprechend diesem Weg müsste in die Parteien investiert werden und nicht in neue partizipative Ansätze. Die Wege, welche auf dem Plakat (Abbildung 2) dargestellt sind, können wirklich anders verlaufen. Die Themaverdrossenheit in der Bevölkerung ist stark (etwa bei Themen wie: Ausländer, Verkehr). Pro Natura sucht seit langem nach einem guten Thema, das Initiative in der Bevölkerung auslöst. Bisher hatte Pro Natura nicht Erfolg.

  • Den politischen Möglichkeiten steht das Desinteresse der Bevölkerung, wie es etwa durch die geringen Wählerbeteiligungen offenkundig wird, entgegen. These: Die Leute wollen sich nicht mehr in Parteien engagieren. Interessant ist, sich für ein interessierendes Thema einklinken zu können, aber auch, sich nach einem Jahr wieder ausklinken zu können. Partizipative Ansätze sind ein mögliches Instrument, beispielsweise das Umweltbewusstsein oder das „ownership“ zu verstärken oder zu wecken. Auch der partizipative Ansatz ist aber nicht davor gewahrt, dass die Schlaueren, Reicheren, ... das letzte Wort haben.

  • Die politische Kultur kann um partizipative Ansätze ergänzt werden. Sie sollen sich nicht konkurrenzieren. Die Bürgerbeteiligung muss sich aus einem  Bedürfnis heraus etablieren. Die Befriedigung dieser latenten Bedürfnisse wird sich auch in der Politik auswirken, die Politik revitalisieren. Der Einbezug von Interessen muss allgegenwärtig werden.

 

© 2001, IKAÖ, Universität Bern, Letzte Änderung: 10.04.2006 /