Interfakultäre Koordinationsstelle für Allgemeine Ökologie (IKAÖ) |
Prof. Dr. Helmut Kaiser
Argument Ethik Spiez und Ethikzentrum der Universität Zürich
Seit der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung von Rio im Jahres 1992 ist
die „Nachhaltige Entwicklung“ zu einem Leitbild internationaler, nationaler und
regionaler Umweltpolitik geworden. Die ethische Betrachtung nimmt erstens die
Kerngedanken des Nachhaltigkeitsbegriffes – Bedürfnisse der heutigen und zukünftigen Generationen hier und weltweit – auf und reflektiert mögliche
Beschränkungen technologischer und ökonomischer Entwicklung mit der Frage:
Braucht es eine kreativ-lebensdienliche Askese?
Zweitens geht die ethische Perspektive der Nachhaltigkeit von der Einsicht aus,
dass die Überwindung der aktuellen Krisen (Finanz; Armut und Hunger;
Stellenlosigkeit; sich weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich;
zunehmende technologische Risiken; Klimawandel; Erosion von Grundwerten
durch Spekulation, Kriminalität, ökonomische Imperative wie
Gewinnmaximierung) eine neue „Ordnung“ der Politik und der Wirtschaft
voraussetzt: Stichwort „Human-ökologische Wirtschaftsdemokratie“. Dies ist
keinesfalls eine abstrakte Utopie, vielmehr kann dieses Leitbild der
gesellschaftlichen Entwicklung auf Grundideen der europäischen
Ideengeschichte (Menschenrechte, Gerechtigkeit, Freiheit, Bewahrung der
Natur) zurückgreifen, welche in unseren Verfassungen eingelagert sind.
Nachhaltigkeit ist drittens dann ethisch zu Ende gedacht, wenn die
Verkürzungen der Leitideen der gesellschaftlichen Entwicklung aufgehoben
sind: Vernunft ist nicht Effizienz, vielmehr Lebensdienlichkeit. Fortschritt ist
nicht Wirtschaftswachstum, sondern umfassende Lebensqualität. Freiheit ist
nicht liberale Marktfreiheit, sondern besteht in umfassenden
Partizipationsmöglichkeiten in allen gesellschaftlichen Bereichen.
Nachhaltigkeit beinhaltet somit systematisch vier Integrationen (1) Zeitlich:
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, (2) Räumlich: „Süd“ und „Nord“, (3)
Gesellschaftlich: Ökologie, Soziales, Wirtschaft, (4) Ethisch: Lebensdienlichkeit
/ Ehrfurcht vor dem Leben, Lebensqualität / Sinn, Partizipation / Gerechtigkeit.