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Interfakultäre Koordinationsstelle für Allgemeine Ökologie (IKAÖ)

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Forschung


Beiträge zur Nachhaltigkeit in Gemeinden: Simulationsgestützte Erprobung und Diffusion psychologischer Interventionsformen

Heinz Gutscher, Prof. Dr.
Hans-Joachim Mosler, Dr. phil. I et dipl. zool.
Jürg Artho, lic. phil. I
Stefan Mischke, cand. lic. phil. I

"Wir wollen Wege finden, wie eine genügend grosse Zahl von Menschen genügend rasch neue Verhaltensmuster nach Kriterien globaler Sozial- und Umweltverträglichkeit entwickeln kann." Heinz Gutscher

Ziele und Fragen

Um umweltgerechtes Handeln zu fördern, wird üblicherweise vor allem auf finanzielle Anreize oder regulatorische Eingriffe in Form von Verboten oder Geboten gesetzt. Die Vielzahl weiterer Formen von umweltpsychologischen Interventionen, die auf freiwillige Verhaltensänderungen abzielen, sind dagegen kaum bekannt. Viele davon haben sich in kleineren Feldstudien in verschiedenen Teilen der Welt gut bewährt. So konnten auch wir in einer Pilotstudie beispielsweise "Selbstverpflichtung" und "Feedback" als effektive Methoden bestätigen. Unser Projekt bezieht sich nun auf die grossflächige Erprobung verschiedener Interventionsformen. Wir wollen zeigen, dass diese auch auf Gemeindeebene eine substantielle und anhaltende Wirkung entfalten können.

Auf welche Weise werden bei einer Umweltaktion möglichst viele Personen erreicht ("Diffusion")? Diese Frage wurde bisher zugunsten des Verständnisses der Interventionsmechanismen weitgehend vernachlässigt. Ein zentrales Anliegen unseres Projektes ist deshalb auch der Vergleich verschiedener Diffusionsformen. Wir untersuchen wenig bekannte und z.T. von uns selbst entwickelte Instrumente wie z.B. "mobile soziale Sonden". Unser Ziel ist es, Aussagen darüber machen zu können, unter welchen Bedingungen welche Diffusionsformen eingesetzt werden müssen, um mit einer Umweltaktion möglichst viele Personen erfolgreich erreichen zu können.

Ein anderes wichtiges Ziel für uns ist die Weiterentwicklung eines Computerprogrammes zur Simulation von Aktionen in Gemeinden. Das Simulationsmodell basiert auf sozialpsychologischen Theorien der Informationsverarbeitung und des sozialen Einflusses und wurde von uns in den letzten vier Jahren entwickelt (erste Beitragsperiode SPPU).

Methoden

Um die Interventions- und Diffusionsformen zu untersuchen, werden wir in ein bis zwei Gemeinden, zusammen mit lokalen Aktionsgruppen, Aktionen durchführen. Wir beabsichtigen, diese über eine Vorher-Nachher-Messung resp. -Erhebung verschiedener objektiver und subjektiver Variablen (z.B. Verkehrsaufkommen, selbstberichtetes Verhalten, Einstellung) zu evaluieren.
Für die Untersuchung der Diffusion setzen wir vor allem die Computersimulation ein: Wir wollen mit Hilfe der Simulation ermitteln, welche Diffusionsformen gemäss Theorie in den betreffenden Gemeinden jeweils am meisten Personen erreichen. Um in der Simulation einen möglichst hohen Realitätsbezug zu schaffen, sind in den Gemeinden umfangreiche Anfangserhebungen erforderlich. Die so gewonnenen Daten speisen wir als Ausgangslage in die Simulation ein. Diejenigen Diffusionsformen, die als erfolgversprechend beurteilt werden, empfehlen wir in einem zweiten Schritt in den Gemeinden zur Umsetzung; danach werden sie mit Hilfe von Umfragen und Erfolgsmessungen evaluiert.
Als dritten und letzten Schritt vergleichen wir den Verlauf der Diffusion sowie die Ergebnisse der Aktionen mit denjenigen der Computersimulation. Dies hilft uns, das Simulationsprogramm weiter zu optimieren.

Ergebnisse

Als wichtigstes Ergebnis des TP gilt die Erkenntnis, dass sich mit bestimmten Kommunikationsinstrumenten, die aus der umweltpsychologischen Feldforschung stammen, eine grosse Zahl von Personen für Nachhaltigkeitsaktionen mobilisieren lassen, und dass sich durch derartige auf Freiwilligkeit aufbauende Aktionen markante Effekte in Umwelt und Gesellschaft erzielen lassen. Die Initiierung der Aktion, der Beratungsprozess sowie das Aushandeln der Spielräume für Inhalte und Vorgehensweisen mit der lokalen Trägergruppe waren ausserordentlich zeitaufwendig und - was die Sicherheit der wissenschaftlichen Erträge anbelangt - bisweilen auch riskant: Die gelebte Transdisziplinärität mit echten gegenseitigen Abhängigkeiten war fruchtbar, lehrreich und schliesslich auch erfolgreich. Für die Aktion "Eile mit Weile - Freiwillig Tempo 30 in Münsingen" konnten über 1000 Personen zu einer schriftlichen, öffentlichen Selbstverpflichtung zur Temporeduktion gewonnen werden. Die gemessene Verringerung der durchschnittlich gefahrenen Geschwindigkeit (V85, d.h. die von 85% der Fahrzeuge eingehaltene Geschwindigkeit) betrug je nach Messstelle 0.5 bis 3.9 km/h. Dies entspricht einer Temporeduktion wie sie andernorts (z.B. in Graz) nur mit Vorschriften und Polizei-Kontrollen erreicht werden konnte. Noch deutlicher werden die Effekte, wenn man die Tempo-35 und Tempo-50 Überschreitungen vor und während der Aktion vergleicht: Die Zahl der Autofahrer, die während der Aktion Tempo 35 einhielten, nahm (je nach Messstelle) um 2% bis 15% zu, bei Tempo 50 betrug die Steigerung der Einhaltungsquote zwischen 1% bis 16%.

Mit dem Simulationsmodell zum Elaboration-Likelihood-Model konnten die Persuasionsprozesse bei rund 80% der befragten Personen adäquat nachgebildet werden, mit einer entsprechenden Simulation auf der Basis der Dissonanztheorie liess sich die Wirkung der Mittel für die Verhaltensänderung analog zu den gemessenen Daten aufzeigen. Solche Ergebnisse sind sowohl für das bessere Verständnis der Wirkungsweise der verschiedenen umweltpsychologischen Interventions- und Diffusionsinstrumente als auch für ihre Weiterentwicklung bedeutsam.

Poster

Poster
(7.1MB)

präsentiert am Abschlussanlass des IP

Stefan Mischke
Jürg Artho
Psychologisches Institut der Universität Zürich
Abteilung Sozialpsychologie


Interfakultäre Koordinationsstelle für Allgemeine Ökologie (IKAÖ) der Universität Bern (1988-2013)
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